Durch die Arbeit am 2. Buchband und damit an der Integration von bisher weniger genutzten Ölen fällt das Licht (haha) einmal mehr auf das Beachten von Kontraindikationen. Zum bisherigen Repertoire mag man sich auskennen, aber was ist mit seltenen Ölen?
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Was ist Photosensibilität?
Durch den Auftrag von photosensibilisierenden Stoffen, nämlich den Furocoumarinen, erhöht sich die Lichtdurchlässigkeit der Haut. Es wird ein Schutzmechanismus der Haut ausgehebelt bzw. verzögert, welcher die Haut vor einem schädigenden Einfluss von UV-Strahlen schützen würde.
Im Falle des Furocoumarins Bergapten ist dies gut untersucht. Dies findet sich in hohen Mengen (bis 2.300 ppm) in kaltgepresstem Bergamotteöl und fast gleich auf (bis 2.200 ppm) in Limettenöl.
Bergapten stellt sich strukturell als ein ungesättigter Furanring mit einem verbundenen Benzenring dar. Durch die Auftrag auf die Haut dringt es in die Zellen bis hinein zum Zellkern und kann sich dort an die DNA binden, welche für die Melaninproduktion verantwortlich ist. Seine Struktur erlaubt eine Bindung mit den Pyrimidinbasen in den DNA-Molekülen. Dort angedockt ist es in der Lage, die Produktion von Sauerstoffradikalen zu erhöhten, wenn UV-Strahlung einwirkt. Das wiederum kann wichtige Enzyme in der Zelle inaktivieren und die Peroxidierung ungesättigter Fette verursachen. Das bedeutet, dass UV-Strahlen so einiges mehr an Schaden verursachen können, als sie es mit aktiven Schutzmechanismen, eben jenen Enzymen, tun könnte. Was jedoch weiterhin ungeklärt ist, ist die Anregung der Melaninproduktion durch Bergapten, was zu den berühmten braunen Flecken in Haut führt und auch wie es weitere Entzündungen triggert. (nach Joy Bowles: The Chemistry of Aromatherapeutic Oils*)
Konkrete Gefahren sind: Entzündung, Blasenbildung, Rötung, Verbrennung.
Hier geht’s zu einem englischsprachigen Blogartikel, der in der Mitte ein Bild von einem menschlichen Arm zeigt, dessen runde Probenfelder verschiedene Entzündungsgrade nach dem Auftrag einer 1-%-igen Verdünnung von Bergamotteöl und folgender UV-Bestrahlung zeigen. Die obere Reihe zeigt das Ergebnis nach 20 Minuten, die untere nach 40 Minuten. Hier ist das Bild direkt verlinkt.
Therapeutische Effekte photosensibilisierender Furocoumarine
In der Psycho-Aromatherapie stellen Furocoumarine Lichtbringer da. Sie erhöhen auch unser Gemüt für die Wahrnehmung von Licht. Deshalb sind furocoumarinbefreite kaltgepresste Zitrusschalenöle in der Psycho-Aromatherapie auch nicht sinnvoll – ihnen fehlt etwas wichtiges und ihr Geist ist gebrochen.
Aber auch körperliche Effekte lassen sich finden. Psoralen ist sowohl ein Furocoumarin, das vor allem in Angelikawurzelöl, Weinrautenöl und Tagetesöl zu finden ist, aber dient auch als Überbegriff für Furocoumarine. Das kann in der Literatur manchmal verwirren. Psoralene sind ihren Einsatz bei Psoriasis (Schuppenflechte) bekannt – daher der Name. Bei Psoriasis erneuert sich die Haut statt in einem Zyklus von 21-28 Tage schon binnen 4 Tagen. Dadurch schieben sich ständig neue Hautschuppen nach, was zum typischen weiß verschuppten Entzündungsbild führt. Ist es nicht interessant, dass Furocoumarine, die zu recht mit Respekt behandelt werden, weil sie eben als einzige Ätherisch-Öl-Inhaltsstoffe (zumindest mir bekannt) direkt ans Erbgut gehen, also quasi als lokal mutagen gelten, eben genau hier einen therapeutischen Sinn haben? Denn die Reproduktionsgeschwindigkeit von Zellen ist ja eine DNA/RNA-Angelegenheit. 1998 zeigte eine Studie von Fairlie et al., dass Psoralene die übermäßige Zellbildung in den betroffenen Hautstellen stoppen (Tierversuche und ausgesuchte menschliche Zelllinien in vitro).
Welche Öle enthalten welche Mengen?
Kaltgepresste Zitrusschalenöle stehen oben auf der Liste der Photosensibilität. Aber sie enthalten ganz unterschiedliche Mengen. Werden Zitrusschalen hingegen destilliert, werden keine Furocoumarine mit in der Destillation transportiert. Die Destillation von Zitrusschalen ist recht kurz, da sie hauptsächlich kleine Monoterpene enthalten. Furocoumarine brauchen mehr Zeit, um in der Destillation überzugehen und es braucht von ihnen auch eine gute Anzahl, damit ein Bruchteil davon mit dem Wasserdampf transportiert wird, da sie als relativ unflüchtig gelten.
Aber auch solche Pflanzen gibt es, die (länger) destilliert werden und viele Furocoumarine mitbringen. Die Liste dieser Pflanzen darf zumeist gelernt werden. Mit dem 2. Buchband rücken auch für mich neue photosensiblisierende Düfte in den Mittelpunkt. Diese Kontraindikation zu kennen, ist in der Praxis und Beratung Pflicht, aber auch im Privaten äußerst wichtig.
Photosensibilisierende Öle mit Zahlen
- Kaltgepr. Limettenschalenöl (bis 30.410 ppm)**
- Kaltgepr. Bergamotteschalenöl (bis 24.526 ppm)**
- Kaltgepr. Zitronenschalenöl (bis 13.932 ppm)**
- Kaltgepr. Grapefruitschalenöl (bis 4.131 ppm)**
- Destilliertes Weinrautenöl (1.280 ppm)**
- Kaltgepr. Bitterorangenschalenöl (bis 1.245 ppm)**
- Destilliertes Angelikawurzelöl (bis 420 ppm)**
- Kaltgepr. Mandarinenschalenöl (bis 173 ppm)**
- Destilliertes Tagetesöl (110 ppm)**
- Destilliertes Petigrain mandarinier (Mandarinenblätter) (bis 50 ppm Bergapten [5-MOP])***
- Kaltgepr. Tangerinenschalenöl (bis 50 ppm Bergapten [5-MOP])***
- Destilliertes Petersilienkrautöl (bis 20 ppm Bergapten [5-MOP])***
*** Angaben der IFRA im offiziellen Dokument über Grenzwerte zu Bergapten in Kosmetik/Parfümprodukten
Photosensibilisierende Öle ohne Zahlen
- Destilliertes Kreuzkümmelöl (Cumin)
- Destilliertes Zitronenverbenenöl (Aloysia triphylla)
- Destilliertes Opoponaxöl
- Destilliertes Feigenblattöl
- Kaltgepr. Clementinenschalenöl
- Kaltgepr. Combavaschalenöl
- Destilliertes Sellerieöl
- Destilliertes Liebstöcklöl
- Destilliertes Pastinakenöl
- Destilliertes Khellaöl
- Destilliertes Skimmiablätteröl
- Angelwurzelöl als Absolue und CO2-Extrakt
- Destilliertes Khellaöl
Beide Listen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Nicht-photosensibilisierende Öle
Genannt hatte ich schon destillierte Zitrusschalenöle, welche nicht als photosensibilisierend gelten. In mediterranen Gegenden und dort, wo die ursprüngliche Tradition überlebt hat, werden Zitrusschalen tatsächlich schon lange destilliert. Es ist kein Novum, wie es den Anschein hat, wenn man nur verfolgt, welche Wandlungen das Zitrusschalenölangebot im letzten Jahrzehnt genommen hat.
Petitgrainöle, als destillierte Blätter von Zitrusbäumen, sind nicht photosensibilisierend. Die einzige mir derzeit bekannte Ausnahme ist oben genannte Petitgrain des Mandarinenbaums.
Bei Angaben zu kaltgepressten Zitrusschalenölen, welche nicht photosensibilisierend sein sollen, bin ich vorsichtig. Sie mögen wenig beinhalten, wie z. B. das kaltgepresste Öl der Süßen Orange, Citrus sinensis. So ist im berühmten „Essential Oil Safety“ (2014) von Robert Tisserand und Rodney Young z. B. das kaltgepresste Tangerinenschalenöl als nicht-photosensibilisierend genannt, was die Erfahrung in der physiologischen Verwendung (nicht pur) auch zeigt, aber die IFRA bzw. EU-Kosmetikverordnung listen es mit 50 ppm Bergapten als kritisch ein, was Kosmetikhersteller dann wissen müssen. Also nur, weil etwas in der Aromatherapie aus Erfahrung nicht als photosensibilisierend gilt, heißt es nicht, dass Behörden dann genauso sehen.
Aber der Vollständigkeit halber sind jene kaltgepressten Zitronenschalenöle lt. „Essential Oil Safety„* nicht photosensibilisierend: Blutorange, Süße Orange, Mandarine, Satsuma, Tangelo, Tangerine, Yuzu.
IFRA vs. Erfahrung: Welche Dosierungen sind sicher?
Lobbyismus mit Duftstoffen
Dr. Wabner hatte intensiv versucht, die drohende Einschränkung von Furocoumarinen in Kosmetik und Parfümprodukten auf EU-Ebene zu verhindern. Er sprach öffentlich darüber, warnte und schrieb emsig nach Brüssel. Aber wer einmal so ein bisschen Wind des EU Lobbyismus geschnuppert hat und verfolgt hat, wie die IFRA arbeitet, dem war es keine Überraschung, als es dann verkündet wurde.
Die IFRA ist die International Fragrance Association, ein Lobbyverein der Duftstoffindustrie. Ich habe die Story zum Verbot von natürlichem Eichenmoos und Co durch die Arbeit der IFRA im OnDemand Vortrag zu Eichenmoos erzählt. Das gibt ein „schönes“ Bild davon, wie es läuft. Sie hat auch bereits auf ein Verbot von natürlichen Rosenölinhaltsstoffen hingewirkt und Furocoumarine waren ein weiterer großer Coup. Zuletzt sorgte die starke Limitierung von Methylsalicylat in Kosmetik und Parfümprodukten für Furore.
Verbote und Einschränkungen basieren oberflächlich betrachtet auf Einzelstoffuntersuchungen, denen ein gefährliches Potenzial attestiert wird. Es geht dann um Grenzwertbestimmungen, die recht drastisch ausfallen können, sodass natürliche unberührte Öle nicht mehr zum Einsatz kommen können. Beobachtungen von Experten der Parfümwelt zeigten, dass diese Untersuchungen manchmal sehr fragwürdig sind und sogar Kommiteemitglieder, die nachher über die Grenzwerte entscheiden, aktiv an den Untersuchungen beteiligt sind. Ferner kann man auf den Gedanken kommen, dass gewisse Entwicklungen in der Duftstoffindustrie wie neue Fraktionierungsmethoden oder die synthetische Herstellung von Duftstoffen, mit neuen Grenzwertbewegungen zu tun haben könnten.
Grenzwerte für Furocoumarine lt. EU-Kosmetikverordnung
Die EU-Kosmetikverordnung setzte ein Grenzwert für Bergapten (5-MOP, 5-Methoxypsoralen) fest, aber nicht für die anderen Furocoumarine. So enthält Tagetesöl beispielsweise gar kein Bergapten, sondern nur 110 ppm Psoralen. Der Grenzwert für Bergapten wurde auf 15 ppm festgesetzt. Die allermeisten furocoumarinhaltigen Öle enthalten tatsächlich Bergapten. Während Zitronenschalenöl aber z. B. nur 275 ppm davon enthält (Bergamotte ja wie gesagt 2.300 ppm), enthält es gleichzeitig bis zu 5.412 ppm Bergamottin und bis zu 8.224 ppm Oxypeucedanin. Aber das ist interessiert, bzw. ist Zitronenöl ja schon durch den Bergaptengehalt beschränkt. Wer ein Kosmetikprodukt zugelassen haben möchte, muss bei unberührten photosensiblen ätherischen Ölen eine Dosierung im Endprodukt von 0,0015 % beibehalten. Es wird hier nochmals deutlich, dass kleine Hersteller nicht gewollt sind, welche aufgrund kleiner Chargen gar nicht so fein dosieren können. Der Griff zu anderen Ölen, zu destillierten Zitrusschalenölen oder zu bergaptenbefreiten Zitrusölen liegt für alle nah.
Erfahrung und gesunder Menschenverstand
Dass die erforderlichen Verdünnungen in der EU-Kosmetik nichts mit den jahrzehntelangen Beobachtungen von Aromatherapeutinnen und Aromapraktikern gemein haben, ist nicht überraschend. Wer daher keine Produkte veröffentlichen möchte, aber dennoch sicher in der Anwendung sein möchte, richtet sich nach den Ausbildungsstandards.
Robert Tisserand, Rodney Young in „Essential Oil Safety„*:
„Im Allgemeinen besteht kein phototoxisches Risiko, wenn die Öle in einem Produkt verwendet werden, das entweder nicht auf den Körper aufgetragen oder von der Haut abgewaschen wird, wie z. B. Shampoo, Badezusatz oder Seife. Ätherische Öle können jedoch an der Haut haften, wenn sie in der Sauna oder bei der Dampfinhalation verwendet werden. Es besteht kein Risiko, wenn die Haut, auf die die Öle aufgetragen werden, so abgedeckt ist, dass die UV-Strahlen sie nicht erreichen können.“
„Wir empfehlen, dass die Haut, die mit phototoxischen Ölen in Mengen behandelt wurde, die über den Höchstwerten für die Anwendung liegen, 12 bis 18 Stunden lang nicht dem UV-Licht ausgesetzt werden sollte.“
Robert Tisserand veröffentlichte vor einiger Zeit online eine Übersicht, welche Verdünnungen zu welchen ätherischen Ölen als nicht photosensibilisierend gelten. Leider finde ich die Quelle online nicht mehr. Hier ist die Übersicht:
- Bergamotte (Citrus bergamia): 0,4 %
- Limette (Citrus aurantiifolia): 0,7 %
- Bitterorange (Citrus aurantium): 1,4 %
- Zitrone (Citrus limon): 2 %
- Grapefruit (Citrus paradisi): 4 %
- Orange (Citrus sinensis): 3 %
- Mandarine (Citrus reticulata): 3 %
- Angelikawurzel (Angelica archangelica): 0,78 %
- Kreuzkümmel (Cuminum cyminum): 0,4 %
- Liebstöckel (Levisticum officinale ): 0,78 %
- Zitronen-Verbene (Lippia citriodora ): 0,78 %
- Petersilie (Petrosellinum sativum): 0,78 %
- Weinraute (Ruta graveolens): 0,78 %
- Tagetes (Tagetes tenuifolia): 0,05 %
Diskussion: Diese Verdünnungen scheinen in Widerspruch zu den oben genannten Furocoumaringehalten zu stehen. Ich weiß nicht, wie gut die Untersuchung der IFRA war. Folgt gern dem Link unter Liste, um eine Tabelle mit den Differenzierungen der Furocoumarine zu finden (spannend, oder so). Die einzelnen Furocoumarine können unterschiedlich intensiv wirken, aber die Chargen eben auch variieren. Mit der Erfahrungsliste von Robert Tisserand bin ich bisher immer gut gefahren.
Für Neueinsteigerinnen und Neueinsteiger: 1 Tropfen ätherisches Öl auf 5 mL (1 Teelöffel) fettes Öl = 1 %. 2 Tropfen auf die gleiche Menge = 2 %, 3 Tropfen = 3 % und so weiter. 1 Tropfen auf 10 mL (2 Teelöffel) sind demnach 0,5 % Dosierung.
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