In meinen Aroma-Anfängen wollte ich vielen Leute um mich herum Gutes tun und ihnen kleine feine Duftmischungen reichen. Ich fragte, wonach ihnen denn so wäre, was ihnen so gefiele. Oh, wie oft kam dann die Anfrage, ich solle doch so etwas wie die Meeresbrise rekreieren, die Frische, Lebendigkeit, Freiheit und Leichtigkeit des Meeres. Da stand ich dann verdutzt mit meinen Fläschen voller Kräuter- und Blütenölen, Wurzel- und Holzdüften. Aber, sagte ich, Meer hat kein ätherisches Öl!?

Der Parfümauftrag: Meeresduft

Solche Anfragen kennt ihr bestimmt auch, wenn ihr im Familien- und Freudeskreis für Duftmischungen bekannt geworden seid. Meeresbrise, ja das ist ein Duft der Freiheit, der Hoffnung – und er wird gerne mal an uns Mischerinnen herangetragen. Aber nicht nur an uns. Auch die Parfümindustrie kam daran nicht vorbei. Schließlich bediente sie sich der synthetischen Trickkiste, doch auf dem Weg dahin untersuchte man ihn, den Duft am Meer.

 

Wie riecht Meer?

Allein den Duft zu beschreiben, dürfte Schwierigkeiten machen. Das war dann häufig auch meine Antwort an jene, die nach einem Meeresduft fragten: Wie riecht denn Meer für dich? Mit den Begrifflichkeiten, seien sie physischer oder psychischer Natur konnte ich dann weiterarbeiten. Aber was sagen die Profis?

Für viele Jahre wurde Meeresduft mit dem Geruch nach Ozon beschrieben. Ein Hauch von Chlorduft verströmt ihm. Ozon finden wir häufig nach einem Gewitter oder heftigen Regenfall in der Atmosphäre – es braucht gehörig viel Energie, um das normale Sauerstoffmolekül (O=O) mit einem weiteren Sauerstoffradikal zu verbinden (3 Sauerstoffatome stecken im Ozon).

Aber diese Annahme hielt sich nicht, seitdem wir Kopierräume voller Ozon kennen. Nein, nach Meeresbrise riecht es dort nicht. Von Frische, Lebendigkeit, Freiheit und Leichtigkeit ganz zu schweigen.

Sand, Seetang, Muscheln, schäumende Gischt
Seemöven wandern durch Algen am Strand

Der Duft nach Strandgut?

Dann schweifte der Blick weiter in die natürliche Umgebung des Meeres – was könnte da schnuppern? Sand, Salz, Meerestiere, Algen, Plankton, Meeresbakterien, Seetang – und alle möglichen Kombinationen davon. Es gibt einen gemeinsamen Nenner, ein Gas, das in all jenen vorkommt: DMS, Dimethylsulfid.

DMS wird von einem Bakterium im Meer produziert, das mit Plankton und anderen Algen vergesellschaftet ist. Im natürlichen Raum riecht es fischig, tangartig. Sobald Plankton und Algen verrotten, entsteht daraus DMSP, Dimethylsulfoniopropionat.

Funfact: Ein Großteil des DMS wird im Meerwasser zu DMSO umgebaut – ihr wisst, dieses starke Lösungsmittel, das als alternatives Schmerzmittel gehandelt wird.

DMS ist an der Wolkenbildung beteiligt, weshalb es eine wichtige Rolle in Ökosystemen spielt. Außerdem zieht am Meer lebende Vögel an. Wird also frischer lebender Seetang von Meerestieren angegriffen, wird DMS freigesetzt, was wiederum jene Vögel anzieht, die sich daraufhin an den Meerestieren laben. Der Seetang hat so bessere Chancen zu überleben. Unsere menschlichen Nasen nehmen DMS auf sehr niedriger Schwelle schon wahr. Also, vielleicht hat es auch für uns ein anheimelndes Aroma, eine Information, die uns sagt: Hier gibt’s was zu Essen. Wir Menschen beschreiben den Duft tatsächlich sogar eher als kohlartig und DMS entsteht auch bei vielen Gemüsearten, wenn wir sie kochen. Fan von schwarzen Trüffeln? Auch die gelten als DMS-haltig. Also, hier gibt’s definitiv etwas zu essen, aber ein Parfüm mit Meeresbrise sollte dann vielleicht doch nicht kohlartig riechen.

Salinen an mediterraner Küste

Flüchtige Stoffe im Meersalz

Schon einmal Meersalz destilliert? 2010 wurde eine Studie von Silva, Rocha und Coimbra veröffentlicht, die Salzpfannen am Meer untersucht haben. Während das Wasser in den Salzbecken verdunstet, gehen auch andere flüchtige Bestandteile in die Atmosphäre, ganz so wie wir das bei der Wasserdampfdestillation kennen. Die Forscher fanden 150 verschiedene Verbindungen: Alkohole, Phenolye, Aldehyde, Ketone, Ester, weitere Terpenoide und Norisoprenoide, die entstehen, wenn sich Carotinoide von Pflanzen, Algen, Pilzen und Bakterien zersetzen. Seither gelten diese als Biomarker für marine Umgebungen. Sie verbleiben auch ein Stückweit im fertigen Salz und geben so jedem einzelnen Salz eine eigene Note, eine Art Fingerabdruck nur für die Region. Am meisten fanden sich tatsächlich Ketone (35) Alkohole (18) und Aldehyde (17).

Auch die Arbeiter solcher Salzgewinnungsanlagen wurden nach Geruchswahrnehmungen befragt. Überraschenderweise kam bei Umfragen in Portugal (Aveiro) und Frankreich (Guérande) der Begriff »veilchenartig« öfter vor. Tatsächlich kann eines der Carotenoide, nämlich β-Caroten, zu β-Ionon zersetzt werden. Dieser nach Veilchen duftende Inhaltsstoff findet sich ganz natürlich in einer Vielzahl von Früchten, Weinen und ätherischer Öle mancher Blütendüfte:

  • Hennastrauch (Lawsonia inermis): bis 48,6 % (Blüten)
  • Osmanthus (Osmanthus fragrans): bis 19,4 %
  • Duftveilchen: bis 8,25 % (Achtung, hier gewonnen aus den Blüten)
  • Champaca (Magnolia champaca): 3,4 %
  • Weiße Magnolie (Michelia alba): 3,2 % (Analyse aus den Blättern!)

Es gibt übrigens Hinweise, dass β-Ionon krebsvorbeugend und antitumoral wirkt. Die drei Wissenschaftler Silva, Rocha, Coimbra beschäftigten sich daraufhin in einer eigenen Studie nur mit der Bedeutung dieses Inhaltsstoffes für den Meersalzduft. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass der Stoff nicht in allen Gegenden im Meersalz vorkommt.

Schade, mit dem Duft nach Veilchen hätten wir uns vielleicht noch anfreunden können, aber die anderen eher realistischen Meeresdüfte nach Algen, Seetang und Krustentieren sind in einem Parfüm schwieriger untergebracht. Oder?

 

Algen-Absolue

Ganz so ablehnend sollten wir nicht sein, denn Ätherisch-Öl-Firmen haben tatsächlich etwas im Angebot, das marine Gelüste stillen könnte: Ein Absolue von Fucus vesiculosus, dem Blasentang. Algen-Absolue ist in der Aromatherapie noch unbekannt. Zeit, es etwas bekannt zu machen.

Die Studienlage ist dünn, aber es gibt zum Beispiel Hinweise, dass Blasentang-Lösungsmittelextrakte (Wasser, Azeton, Methanol, Ethyl-Acetat) gegen MRSA wirken. Eine Studie zeigte Vergleiche zwischen den Extraktionsarten und der Wirksamkeit gegen MRSA-Keime, die aus klinischer Umgebung isoliert wurden. Unser Algen-Absolue ist eine Hexan-Extraktion.

Ein Star-Vogel steht mitten im Blasentang an der Nordsee
angespülter Blasentang auf Sandstrand unter Wasser

Eine kosmetische Studie zeigt, dass Blasentang-Extrakt antioxidativ, entzündungshemmend und stimulierend auf die Kollagenbildung wirkt. Es wurde hier speziell und erfolgreich im Einsatz gegen dunkle Augenringe getestet. Welcher Natur der Extrakt ist, wird nicht im Abstract ersichtlich. Meine Recherche führte aber zu BASF, die einen solchen Extrakt mit der gleichen Argumentation der Studie führen. Vermarktet als Hilfe gegen dunkle Augenringe und Krähenfüße wird Shadownyl, dessen INCI sich wie folgt liest: Water (aqua), Algae Extract, Hexylene Glycol, Caprylyl Glycol, Xanthan Gum. Der entzündungshemmende Hinweis sowie eine vor UV-Strahlung schützende Wirkung wurde auch von Baylac und Racine 2004 dokumentiert (HLE-Hemmer).

Der CO2-Extrakt von Blasentang, in dem sich sehr ähnliche Stoffe zur Hexan-Extraktion finden, wurde als bedeutend antimykotisch getestet. Hierbei zersetzte Blasentangextrakt innerhalb von 144 Stunden Pilzsporen (Macroconidia) und zeigte sich im Vergleich zu anderen Fucus-Arten als wirksamer.

Hier steckt noch einiges an Forschungspotential und zumindest für die Psycho-Aromatherapie werde ich meine Erfahrungen im 2. Band meines Sachbuches »Vom Geist in der Flasche« kundtun. Bis dahin aber noch etwas Geduld.

 

Mit Algen-Absolue den Duft nach Meer kreieren

Das Algen-Absolue (Fucus vesiculosus) wird tatsächlich in einer Minidosis in einem kommerziellen Parfüm genutzt: Trade Wind (Essentially Me) soll dadurch die Idee stimulieren, auf einer exotischen Insel zu sein. Jennifer Peace Rhind beschreibt den Duft des Algen-Absolues als »salzig, lakig, fast herzhaft grüner / mariner Duft, ohne tangige, fischige Noten«. In geringer Dosierung, schreibt sie, kann der Duft eine salzige, ozeanische Note hineinbringen, die grüne, frische Düfte interessanter mache.

Algen-Absolue lässt sich gut mit Vetiver kombinieren (es gibt übrigens auch ein sehr abstraktes Meeresparfüm mit Namen Sel de Vetiver), aber auch mit Wacholderbeere und Eichenmoos. Und lasst uns die β-Ionon-Note nicht vergessen: Osmanthus macht sich ohnehin immer fein in Parfüms und erlaubt uns psycho-aromatherapeutisch in die Freiheit des Herzens zu gehen, also das im Leben zu tun, wonach das Herz verlangt. Wenn das nicht Urlaub am Meer ist…

 

Ergänzungen aus eurem Feedback

Natürlich, manchmal ist man etwas blind, aber an Stränden finden sich nicht selten tolle Kieferngewächse, die Strand-Kiefer zum Beispiel. So gehört der Kiefernduft zur Meeresbrise mancherorts unbedingt dazu. Die frische exotische Note kann nach eurer Erfahrung durch Grapefruit noch hineingezaubert werden. Na dann, sind der Kreativität erst einmal keine Grenzen gesetzt, aber viele Ideen geliefert.