Was für eine Überraschung dieser Duft heute ist!

Ich besitze das kleine Fläschchen mit dem Weißen-Lotos-Absolue jetzt seit fast 7 Jahren. Vom ersten Schnuppern an merkte ich meine Abwehr, wusste ich, dass ich hier ein Thema habe. Das änderte sich kein einziges Mal in den Jahren. Den Lotos holte ich überhaupt nur heraus, wenn ich wusste, ich würde eine erfahrene Aromatherapeutin oder eine ganze Gruppe von ihnen treffen, um ihnen den Duft unter die Nase zu halten und ihre Reaktionen abzuwarten. Jüngst trug ich ihn zum AroFI-Stammtisch in Berlin. „Ach, angenehm“, „So schön wärmend“… Von Lotos wurde stets und überall sehr vornehm gesprochen, man sah die unmittelbare tiefe Ruhe in die Riechenden einkehren, die er vortrefflich herbeirufen kann. Aber keine berichtete von Abwehrgelüsten. War ich so allein mit dem Thema?

So landete der Duft, den ich eigentlich erst für den 2. Band meines Buches besprechen wollte (und der aus diesem Grunde auch noch nicht vollständig von mir erforscht ist), in der Tombola für die Raunachtsdüfte als ganz klarer Vertreter der „bösen Düfte“. Tja, nun schraubte ich das Fläschchen auf, nahm mich schon selbst vorwarnend zusammen, bereit mir meine olfaktorische Bestätigung für die Wahl herbeizufächeln und siehe da… er hat ganz neue Noten, ist viel süßer, ja parfümistisch, mit wärmender Tiefe, mit Weite voller Ruhe, voller Raum. Nach all den Jahren ist meine Abwehr verschwunden.

Lotos – Symbol des spirituellen Weges

Der Duft hat seine ganz bodenständige Botschaft. Trotzdem geht er ans Eingemachte und kann jeden Selbstwerdungsprozess begleiten, ob spiritueller Adept oder Self-Made-Frau.

Es überrascht aber nicht, dass er in seiner asiatischen Heimat zu so einem kulturübergreifenden Symbol des spirituellen Selbstwerdungsprozess geworden ist. Ganz nüchtern betrachtet, ist dies eine Pflanze, die auf dem Grund eines Gewässers wurzelt, sich durch undurchsichtige, schlammige Ebenen filigran hindurch nach oben in immer klarere Gewässerschichten windet, bis sie ihren Blütenkopf viele Zentimeter über dem Wasser zum Leuchten bringt. Ok, das Leuchten war jetzt nicht nüchtern formuliert, aber sie strahlt wirklich.

Dies finde ich, ist ein Gegensatz zu unseren hiesigen Seerosen: Der weiße oder pinke Indische Lotus (Lotus nucifera) legt seine Blüte nicht auf das Wasser (ebenso wie seine Blätter), sondern wächst eben noch einige Meter höher über der Wasseroberfläche und entfaltet sich erst dann. Das ist ganz entscheidend für seine psycho-aromatherapeutische Wirkung.

Hinweis: Es gibt auch den Blauen Lotos im Ätherisch-Öl-Handel. Der ist nicht mit dem Indischen Lotos verwandt, sondern mit der Seerose und damit eine Nymphea-Art.

Der Lotos-Effekt

Während sich die Blüte über der Wasseroberfläche hält, sind auch die Lotosblätter aufgestellt und haben durch ihre faszinierende Oberflächenstruktur die Eigenschaft, Wasser einfach abperlen zu lassen. Von außen kommt nichts an die Pflanze heran. Sie nährt sich einizig von dem, was sie selbst durch ihre Wurzeln und ihr Rhizom zieht. Anderes kann sie nicht beeinflussen. Nur Käfer dürfen ihre zwittrige Blüte befruchten – aber Blüte ist ja weit überm Wasser und sorgfältig nur nach oben geöffnet.

Während es mittlerweile viele Produkte mit dem Lotos-Effekt dank Nanotechnologie gibt, wünscht man sich doch vor allem selbst die Fähigkeit dazu, oder? Wie schön, wenn so vieles von den Informationen, Emotionen und Eindrücken einfach an uns abperlen könnte. Stress-Resilienz ist das Zauberwort für die Alltagswelt. Aber Lotos geht natürlich noch tiefer.

Augen zu und lotos

Einmal mehr habe ich für diese Raunächte einen Duft ausgewählt, der uns tiefste Ruhe bringt. Lotos kann dann zum Einsatz kommen, wenn unsere Lebenssituation gerade so massiv geändert wurde, dass uns angst und bange wird. Oder wir haben mit Panik zu tun. Lotos zeigt uns, dass wir unsere Augen schließen können und sollen, tief in uns gehen und dort Vertrauen, Halt und Führung finden. Im Yoga sagen wir dazu ganz nett: Der Guru ist in dir.

Es ist aber tatsächlich die unverrüttelbare Kraft in uns, die immer bleibt, immer besteht, egal welcher Orkan um uns weht. Zugang zu ihr zu bekommen, ist ein großes Geschenk.

Als im Wasser wurzelnde Pflanze (wie auch schon der Kalmus) ist eine der Ängste, die Lotos in mir heraufbeschwört, natürlich wieder die Angst vor Wasserstrudeln. Sich da hinein zu geben, zu vertrauen… Das ist eine Meisterleistung! Wie jedes andere Vertrauen in Angst und Paniksituationen auch. Umso besser, Verbündete zu haben.

Vertrauen in den Guru in mir

Mit einfachem Halt oder kurzen Pausen zum Verschnaufen ist es mit Lotos nicht getan. Wer zu Lotos in Angst und Panik (oder aus unwiderstehlicher Neugierde) gegriffen hat, schlägt einen neuen Weg ein: Den ganz eigenen. Aber als Newbie in der Welt der Selbstfindung weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Hier verhilft Lotos immer wieder zur Erinnerung an den inneren Guru, also das tiefe Vertrauen in einen selbst. Immer wieder geht es darum, die Augen zu schließen und dem inneren Weg blind zu folgen – mit unseren anderen Sinnen, den Über-Sinnen, all das, was das Leben so sinnlich macht, aber nach innen gerichtet ist. Sobald sich unsere „äußeren Wünsche“, die oberflächlichen Gedanken und Reize mit ihrem Willen einschalten wollen, wird’s wacklig. Nein, wirklich unschön. Wir lernen sofort, dass das keine gute Idee ist, denn plötzlich scheint nichts mehr sicher.

Wer von euch tatsächlich auf einem spirituellen Weg ist, wird das kennen. Oder auch wer einen Weg aus dem Herzen begonnen hat (ist der spirituelle Weg etwas anderes?) und immer mal wieder zweifelt. Kennt ihr, oder? Lotos! (Macht euch ein Riechsalz: Ein Mini-Döschen, grobes Salz und max. 1 Tropfen Lotos-Absolue hinein. Maximal sage ich, weil weniger ja mehr wäre. Ich portioniere so feine Sachen eher mit einer Nadel. Kurz in einen entstehenden Tropfen tauchen und der Rest kann zurück in die Flasche – und die Nadel rühre ich durch das Salz.)

Nach dem Vertrauen kommt das Werden

Und jetzt kommt das Besondere am Lotos. Der Unterschied zu Seerosen. Wenn wir unseren Weg gegangen sind, ist er noch nicht zu Ende. Es geht nicht darum, auf der inneren Führung für ewig zu vertrauen. Sobald ein Punkt im Leben erreicht ist, an dem wir uns weit genug entwickelt fühlen, geht es darum, sich zurück zu besinnen auf den eigenen Prozess, der bis zum aktuellen Moment führte. Zu wissen, wo man herkommt, welche Irrungen und Wirrungen man hinter sich gebracht hat, ja sich sein Leben voll bewusst zu machen, ist der stärkende, nährende Zugang, den Lotos bietet. Aus dieser neuen Kraft heraus geht es dann darum, über sich selbst hinaus zu wachsen und wirklich eine Krone der Schöpfung zu sein: Kreativität, also Schöpfungskraft, zu leben und Potentiale im Leben zu erreichen, an die man vorher nicht einmal glauben konnte.

Ist doch ganz gut der Duft – warum dann „böse“?

Lotos entsprach meiner Lebensphilosophie wie sonst nichts. Immer hatte ich die Blüte im Kopf und starrte sie quasi vom Wasser aus von unten an, bekam Nackenstarre und kam doch nicht voran. Und als Skorpion habe ich nun wirklich kein Problem damit, mich durch schlammige dunkle Ecken meinen Daseins zu wühlen. Da habe ich manchmal sogar Spaß dabei. Und dennoch stand mir der Duft in der Nase quer. Wahrscheinlich wird es demnächst irgendwann auch wieder tun – einfach, weil das Thema nicht von heut auf morgen weg ist und sich immer mal wieder zeigen wird. Gut so. Es geht ja ums Lernen.

Der Grund meiner Aversion wird wohl gewesen sein, dass ich, seitdem meine Schulzeit und die erste Freiheitseuphorie vorbei war, viel kämpfen musste und immer wieder neue Wege einschlug, weil ich einfach nichts machen konnte, was mir nicht entsprach. Ich steckte mitten im Lotos-Prozess – ohne seine Hilfe. Ich musste lernen, auf meinen inneren Guru zu vertrauen, weil ich im Äußeren ohne ihn einfach nichts entstehen lassen konnte. Merkwürdigerweise war ich dem aber immer dankbar, wusste ich doch, dass ich so wenigstens keine Zeit verschwende. Dafür hatte ich andere Preise zu zahlen und es braucht wirklich lange, ehe die Wunden aus der Zeit regenerierten.

Irgendwie begegnete mir dann die Aromatherapie. Mein innerer Guru sprang vor Glück und obwohl ich noch nichts greifen konnte, begann ich den Weg des Duftes zu gehen. (Ich begann die Ausbildung, ohne vorher je ein ätherisches Öl gerochen zu haben, einfach weil mein innerer Guru so tanzte.)

Vielleicht beginne ich bereits, die Blüte im Lotos-Prozess auszubilden und mit ihr über die Wasseroberfläche hinaus zu wachsen. Wahrscheinlich aber, habe ich auch nur endlich gelernt, zu akzeptieren und noch mehr zu vertrauen. Akzeptanz ist Schlüssel des Lotos‘, der uns hilft, Anhaftungen loszulassen. Akzeptieren wir, so lassen wir falsche Hoffnungen gehen, Widerstände verpuffen, Verführungen vorbeiziehen.

Möglicherweise ist mir dieser Schritt auch durch meine aktuelle Yogapraxis gelungen, mit der ich mittlerweile ähnliche Wege gehe wie mit der Psycho-Aromatherapie. Sobald ich Kapazitäten, Zeit, Raum, Kraft habe, praktiziere ich jene Asanas, die mir überhaupt nicht liegen und versuche mich ganz darauf einzulassen. Was ich dadurch schon in mir bewegen konnte, ist ähnlich der Psycho-Aromatherapie doch auch anders, weil ja durch den Körper ausgedrückt. Es gibt viele Wege nach Lotos.

 

Mein neuer Barometer

Nachdem sich mir der Duft heute in so neuem hübschen Gewand präsentiert hat, werde ich ihn bestimmt häufiger als Barometer in meinem Leben einsetzen. Ich werde immer mal wieder daran riechen, um zu sehen, wie es mit meiner aktuellen Situation aussieht: Akzeptiere ich genug? Bin ich genug im Vertrauen? Hafte ich an Äußerlichkeiten, die Widerstände in mein Leben bringen? Bin ich demütig genug?

Es ist eine wunderbare Botschaft für das Leben und den authentischen Weg. Aber das wusste ich schon, als ich ihn das erste Mal roch und er mir Unstimmigkeiten spiegelte. Es schwingt eben eine Weisheit in jenen Düften mit, die wir ablehnen, aber die dennoch zutiefst authentisch sind. Probiert euch doch selbst einmal durch euren Ätherisch-Öl-Bestand auf der Suche nach Ablehnung und der Weisheit in ihr. Namaste.

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